Aktuelles (Seite 16)
17.02.2011
Stellungnahme des AGVDE zur Anhörung im Landtag NRW am 16.02.2011 zu „Mindestanforderungen an ein Tariftreue- und Vergabegesetz“ (Antrag der Fraktion DIE LINKE , Drucksache 15/656)
Am 16.02.2011 hat im Düsseldorfer Landtag eine Sachverständigenanhörung zum Thema „Mindestanforderungen an ein Tariftreue- und Vergabegesetz NRW“ stattgefunden, an der sich zahlreiche Vertreter von Unternehmens- und Arbeitgeberverbänden, Vertreter von ver.di und EVG sowie Vertreter aus der Wissenschaft beteiligt haben.
Anlass für die Anhörung war eine Initiative der Fraktion DIE LINKE, die eine Neuauflage des NRW-Tariftreuegesetzes anstrebt. Ein solches Gesetz hatte es von 2002 bis 2006 schon einmal gegeben, es war jedoch auf Betreiben der CDU/FDP-Landesregierung im Oktober 2006 wieder abgeschafft worden.
Die ganz große Mehrheit der Vertreter von Unternehmens- und Arbeitgeberverbänden hat in der Anhörung unmissverständlich deutlich gemacht, dass man eine Neuauflage des Tariftreuegesetzes für überflüssig und in vielfacher Hinsicht sogar schädlich hält. Neben schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Bedenken wurde immer wieder auf den enormen bürokratischen Aufwand hingewiesen, der in keinem angemessenen Verhältnis zu den möglichen Vorteilen eines solchen Gesetzes steht.
Demgegenüber haben die Gewerkschaftsvertreter die Wiederauflage eines Tariftreuegesetzes nachdrücklich unterstützt. Soweit es dabei um den uns interessierenden Bereich des ÖPNV/SPNV ging, wurde von den Gewerkschaften insbesondere eine Regelung gefordert, die bei Ausschreibungen von ÖPNV/SPNV-Leistungen der ausschreibenden Stelle die Befugnis einräumt, einen bestimmten Tarifvertrag als „repräsentativ“ vorzuschreiben und auf diese Weise andere konkurrierende Tarifverträge auszuschließen. Auf entsprechende Nachfrage hat der Vertreter von ver.di ausdrücklich klar gemacht, dass im Bereich der Busverkehre der „TV-Nahverkehr“ (des KAV mit ver.di) landesweit als allein maßgeblicher „repräsentativer“ Tarifvertrag angesehen werde. Der Vertreter der EVG hat für den Bereich der SPNV-Leistungen erklärt, man sehe allein den erst vor wenigen Tagen abgeschlossenen „Branchentarifvertrag SPNV“ (der EVG mit der DB und einigen Privatkonzernen) als „repräsentativ“ an.
Anders als der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) hat sich der AGVDE, der in der Anhörung durch seinen Geschäftsführer Dr. Ackmann vertreten war, sowohl in seiner schriftlichen Stellungnahme als auch im Rahmen der mündlichen Anhörung ganz eindeutig gegen eine derartige Verdrängung gültiger konkurrierender Tarifverträge (z.B. des AGVDE oder des NWO) durch einen angeblich allein „repräsentativen“ Tarifvertrag gewendet. Der Verbandsgeschäftsführer hat in der Anhörung mehrfach nachdrücklich darauf hingewiesen, dass (entgegen der Auffassung des VDV) jedenfalls in der Branche ÖPNV/SPNV, in der nahezu alle Arbeitgeber faire Tariflöhne zahlen, ein derart schwerwiegender Eingriff in die Tarifautonomie der Unternehmen und Verbände durch nichts gerechtfertigt ist.
Durch den rechtswissenschaftlichen Vertreter des Instituts für Arbeits- und Sozialrecht der Universität Köln, Herrn Dr. Greiner, wurde ausführlich dargelegt, dass eine Verdrängung konkurrierender Tarifverträge durch einen angeblich „repräsentativen“ Tarifvertrag auch angesichts des vergleichsweise hohen Vergütungsniveaus in der gesamten Branche ÖPNV/SPNV und der Stärke der dort agierenden Gewerkschaften verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen sei. Man müsse deshalb damit rechnen, dass eine derartige Regelung vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand haben werde. Demgegenüber hielt Herr Dr. Greiner die Verankerung eines allgemeinen Mindestlohns von 8,50 € pro Stunde in einem Tariftreuegesetz des Landes grundsätzlich für verfassungsrechtlich unbedenklich (eine solche Regelung würde im Bereich ÖPNV/SPNV nach unserer Auffassung kaum Wirkung entfalten, weil dieser Stundenlohn schon heute nur sehr selten selbst bei einfachsten Tätigkeiten unterschritten werden dürfte).
Insgesamt kann man den Verlauf der Anhörung aus Sicht des AGVDE durchaus als erfreulich bezeichnen, insbesondere was die schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine „Tarifverdrängungsklausel“ in einem Tariftreuegesetz betrifft, die unseren Verband und seine Mitgliedsunternehmen mit ihren Tarifverträgen massiv beeinträchtigen würde.
Dem Vernehmen nach beabsichtigt die NRW-Landesregierung, im Sommer 2011 einen eigenen Gesetzentwurf für ein Landes-Tariftreuegesetz vorzulegen. Es bleibt abzuwarten, welchen konkreten Inhalt dieser Gesetzentwurf haben wird. Der AGVDE wird hierzu selbstverständlich rechtzeitig Stellung beziehen.
Die zu der Anhörung am 16.02.2011 vom AGVDE vorgelegte schriftliche Stellungnahme fügen wir nachfolgend zu Ihrer näheren Unterrichtung bei.
Stellungnahme des AGVDE zur Anhörung
„Mindestanforderungen an ein Tariftreue- und Vergabegesetz“
Antrag der Fraktion DIE LINKE (Drucksache 15/656).
Der AGVDE und seine 113 Mitgliedsunternehmen, von denen eine erhebliche Zahl in NRW im Bereich ÖPNV/SPNV tätig ist, befürworten für diese Branche einen Wettbewerb zu fairen Rahmenbedingungen, weil dieser geeignet ist, zu möglichst günstigen Kosten ein Maximum an qualitativ befriedigender ÖPNV/SPNV-Leistung für die Bürger herbeizuführen.
Die Personalkosten spielen insbesondere im Bereich der Busverkehre eine zentrale Rolle im Wettbewerb unserer Branche; im Eisenbahnverkehr gilt dies schon in etwas geringerem Maße, weil dort andere Kostenfaktoren (insbesondere Fahrzeugbeschaffung und -finanzierung) zur Zeit eine noch größere Rolle spielen.
lung gefordert, die bei AusDer AGVDE hält ein Tariftreuegesetz für den Bereich des ÖPNV/SPNV in NRW nicht für erforderlich, weil schon heute alle ÖPNV/SPNV-Unternehmen ihre Beschäftigten nach regional angemessenen Tarifverträgen, die mit zweifelsfrei tarifmächtigen Gewerkschaften (ver.di, EVG, GDL) abgeschlossen wurden, beschäftigen und infolgedessen ausnahmslos faire Tarifvergütungen zahlen.
Ein „Lohndumping“ gibt es in unserer Branche derzeit nicht; es gibt derzeit auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass es in NRW in nächster Zeit (etwa wegen der EU-Frei-zügigkeit) zu solchem „Dumping“ kommen könnte.
Der AGVDE hat sich deshalb schon in den letzten Jahren immer wieder gegen Tariftreuegesetze (auf Bundes- oder Landesebene) ausgesprochen und die Abschaffung des NRW-Tarif-treuegesetzes im Jahr 2006 ausdrücklich begrüßt.
Sofern man – entgegen der Auffassung des AGVDE – Tariftreuebestimmungen für den Bereich des ÖPNV/SPNV ernsthaft in Betracht zieht, muss sich ein solches Gesetz darauf beschränken, wirkliche Mindestbedingungen für die Branche zu formulieren.
Es kann daher allenfalls in Betracht kommen, die Anwendung eines der am Ort der Leistungserbringung geltenden einschlägigen Tarifverträge vorzuschreiben (sei es ein Flächentarifvertrag, ein firmenbezogener Verbandstarifvertrag oder ein echter Haustarifvertrag).
Dabei muss eindeutig klargestellt werden, dass auch (nach gewerkschaftsseitiger Kündigung) gemäß § 4 Abs. 5 Tarifvertragsgesetz nachwirkende Tarifverträge diese Voraussetzung erfüllen; andernfalls hätten es die Gewerkschaften in der Hand, durch Kündigung aller anderen Tarifverträge nach relativ kurzer Zeit die Anwendung eines bestimmten (im Zweifel des teuersten) Tarifvertrags in der gesamten Branche zu erzwingen; außerdem würden die Arbeitgeber und ihre Verbände wegen dieser drohenden Zwangslage in künftigen Tarifverhandlungen nahezu einem Diktat der Gewerkschaften ausgesetzt sein, d.h. das bisherige Verhandlungsgleichgewicht würde praktisch vollständig beseitigt.
In keinem Fall ist es politisch gerechtfertigt, die in der Branche ÖPNV/SPNV seit Jahrzehnten stark ausdifferenzierte Tarifvertragslandschaft (mit ihren diversen konkurrierenden Flächentarifen, firmenbezogenen Verbandstarifen und echten Haustarifen) mittels eines Tariftreuegesetzes auf ein einheitliches (aus Sicht der Gewerkschaften möglichst hohes) Niveau zu zwingen.
Deshalb sind alle Bestrebungen, einen oder den „repräsentativen“ Tarifvertrag vorzuschreiben und auf diesem Wege die anderen Tarifverträge aus ihrem Geltungsbereich zu verdrängen, strikt abzulehnen. Eine solche „Verdrängungsregelung“ unterliegt überdies schwersten verfassungsrechtlichen Bedenken und würde von den betroffenen Unternehmen und/oder den tarifschließenden Verbänden politisch und notfalls auch rechtlich mit allen Mitteln bekämpft.
„Dumping-Tarifabschlüsse“ christlicher Gewerkschaften gibt es jedenfalls im Bereich ÖPNV/SPNV nicht. Der AGVDE schließt seit Jahrzehnten nur Tarifverträge mit den zweifelsfrei tarifmächtigen Gewerkschaften ver.di, EVG (früher TG TRANSNET/ GDBA bzw. GdED) sowie GDL. Auch von daher verbietet sich ein Eingriff in die vielfältige Tariflandschaft durch Vorschreiben eines (wie auch immer ermittelten) „repräsentativen“ Tarifvertrags.
Der AGVDE hält es auch weder für sachlich gerechtfertigt noch für rechtlich zulässig, bei mehreren an einem Erbringungsort konkurrierenden „einschlägigen“ Tarifverträgen dem Aufgabenträger die Entscheidung zu überlassen, welchen dieser Tarifverträge er verbindlich vorschreibt.
Selbst wenn dies nach billigem Ermessen erfolgt, liegt bezüglich der verdrängten Tarifverträge ein schwerwiegender Eingriff in die Tarifautonomie der betroffenen Verkehrsunternehmen und ihrer Verbände vor, für den es keine sachlich tragfähige Rechtfertigung gibt. Nur ergänzend seien hier die enormen praktischen Schwierigkeiten angedeutet, die sich für betroffene Verkehrsunternehmen daraus ergeben würden, dass sie einerseits durch den Aufgabenträger auf den „repräsentativen“ Tarifvertrag verpflichtet werden und andererseits natürlich an die von ihnen selbst eingegangenen tarifvertraglichen Verpflichtungen (aus einem anderen Tarifvertrag) gebunden bleiben.
Die Festlegung einer landesweit geltenden absoluten Lohnuntergrenze im Tariftreuegesetz (von etwa 8,50 € oder gar 10,00 €) ist nicht sinnvoll.
Es ist Aufgabe der Tarifvertragsparteien, die nach den jeweiligen regionalen Verhältnissen angemessenen Untergrenzen festzusetzen (u.a. mit Blick auf die in einem großen Bundesland regional doch recht unterschiedlichen Lebenshaltungskosten, Arbeitsmarktbedingungen usw.). Dieser verantwortungsvollen Aufgabe sind die o.g. Tarifvertragsparteien unserer Branche in den letzten Jahrzehnten stets uneingeschränkt gerecht geworden, so dass keinerlei Rechtfertigung für einen gesetzgeberischen Eingriff ersichtlich ist.Köln, 16.02.2011.
(Dr. Ackmann)
Verbandsdirektor