zurück

Aktuelles (Seite 33)

 

28.08.2015

NWO-Klage gegen das Land NRW wegen des Tariftreue- und Vergabegesetzes (Verwaltungsgericht Düsseldorf, Az.: 6 K 2793/13): Verwaltungsgericht hält die Tariftreuevorschriften des Landes NRW für den Bereich des ÖPNV für verfassungswidrig

In unserer letzten Aktuell-Mitteilung vom 06.08.2015 hatten wir auch über das parallel zu der AGVDE-Klage gegen das Land NRW geführte NWO-Klageverfahren wegen des NRW-Tariftreue- und Vergabegesetzes berichtet.

Gestern hat in Düsseldorf die mündliche Verhandlung über diese NWO-Klage vor dem Verwaltungsgericht stattgefunden. In der gut 90-minütigen Verhandlung wurden alle rechtlichen Aspekte des Verfahrens eingehend erörtert.

Dabei ging es zum einen um die Auslegung des gesetzlichen Begriffs „repräsentativ“ bei mehreren konkurrierenden Tarifverträgen in einer Branche. Für das Gericht war sehr zweifelhaft, ob in einer Verkehrssparte (z.B. Busverkehre) mehrere Tarifverträge im gesamten Bundesland repräsentativ sein können; vorstellbar erschien es hingegen, in bestimmten Regionen eines Bundeslandes verschiedene Tarifverträge für jeweils repräsentativ zu erklären (z.B. einen teureren in den Großstädten/Ballungsräumen und einen günstigeren in den ländlichen Regionen).

Zweitens ging es um die Frage, ob es in NRW überhaupt einen hinreichenden Anlass für den Eingriff des Gesetzgebers in die (in den letzten 60 Jahren gewachsene) ÖPNV-Tarifland-schaft gab und noch gibt. Missstände im Sinne eines „Lohndumpings“ konnte das Verwaltungsgericht, trotz mehrfacher Nachfrage beim beklagten Land, nicht erkennen. Die in den verschiedenen für Busfahrer geltenden Tarifverträgen festgelegten Stundenvergütungen zwischen 12 und 13,50 Euro hielt das Verwaltungsgericht für weit entfernt von einem Lohndumping. Das vom beklagten Land wiederholt vorgetragene Argument, es gehe bei dem Gesetz darum, eine „Abwärtsspirale“ bei den Busfahrervergütungen zu verhindern, zu der es durch konkurrierende Tarifverträge geradezu zwangsläufig komme, ließ das Gericht nicht gelten. Das Gericht machte auch deutlich, dass es dem Land – entgegen der offiziellen Gesetzesbegründung – nicht um die Bekämpfung untertariflicher Busfahrervergütungen gehe, sondern um ein rechtsverbindliches Vorschreiben des teuersten Busfahrertarifvertrags (TV-N) im gesamten Land NRW. Das beklagte Land räumte ein, dass es ihm insbesondere auch um den Schutz des TV-N-Lohnniveaus gehe.

Drittens wurden eingehend die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Unterschiede der hier streitigen NRW-Tariftreuevorschriften im Vergleich mit den Berliner Tariftreuevorschriften für den Bereich der Bauwirtschaft, die Gegenstand einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2006 waren, erörtert. Ein ganz zentraler Unterschied liegt darin, dass in dem damaligen Berliner Fall, in dem es um die Bekämpfung von Dumping-Wettbe-werb mittels osteuropäischer Billigarbeitnehmer ging, nach der Berliner Tariftreuevorschrift sämtliche einschlägigen Tarifverträge zur Erfüllung der Tariftreuepflicht genügten. Eine Verdrängung anderer einschlägiger Tarifverträge durch angeblich „repräsentative“ Tarifverträge stand in dem damaligen Verfahren gar nicht zur Debatte.

Das Verwaltungsgericht betonte, dass es vorliegend den erforderlichen „guten Grund“ für den gesetzgeberischen Eingriff in die ÖPNV-Tariflandschaft nicht erkennen könne. Das vom beklagten Land vorgebrachte Argument, die Tariftreueverpflichtung bezüglich des TV-N-Entgelts sei doch ein wesentlich milderer Eingriff als die Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) des gesamten TV-N (Manteltarif und Entgelttarif) nach den Vorschriften des Tarifvertragsgesetzes, ließ das Verwaltungsgericht nicht gelten.

Viertens machte das Verwaltungsgericht deutlich, dass jedenfalls seit dem Inkrafttreten des Bundes-Mindestlohngesetzes zum 01.01.2015 die vorliegend streitige NRW-Landesregelung aus seiner Sicht nicht mehr erforderlich sei. Mit der Festlegung des allgemeinen Mindestlohns von 8,50 Euro habe der Bundesgesetzgeber für das gesamte Bundesgebiet festgelegt, welche Mindestvergütung er zur Bekämpfung von „Sozialdumping“ für erforderlich halte. Aus Sicht des Verwaltungsgerichts sei es nicht hinnehmbar, wenn der NRW-Landesgesetzgeber demgegenüber für den Bereich des ÖPNV einen Mindestlohn von über 13,00 Euro pro Stunde (zzgl. diverser Nebenleistungen, die unter den Entgeltbegriff fallen) vorschreibe. Überdies sei auch schwer nachvollziehbar, wieso das Land NRW im Bereich der Schülerverkehre lediglich einen Stundenlohn von 8,85 Euro für notwendig halte, im Bereich des ÖPNV hingegen über 13,00 Euro vorschreiben wolle.

Besonders starke Bedenken äußerte das Verwaltungsgericht fünftens dagegen, dass die NRW-Tariftreueregelung nicht nur die Einstiegsvergütung (Stufe 1 der Vergütungsgruppe) des TV-N für Busfahrer vorschreibe, sondern die komplette Entgeltordnung, d.h. die weiteren Berufserfahrungsstufen des TV-N sowie die Vorschriften über Zulagen, Zuschläge, Sonderzuwendungen usw. Der auf diese Weise vom Land vorgenommene Eingriff in die Tarifautonomie der Verbände, die die anderen einschlägigen ÖPNV-Tarifverträge abgeschlossen haben (insbes. NWO und AGVDE), sei viel massiver und daher besonders begründungsbedürftig, als wenn lediglich die Einstiegsvergütung vorgeschrieben worden wäre. An dieser Stelle wurde besonders deutlich, dass das Gericht die NRW-Tariftreueregelung in der vorliegenden Form weder für erforderlich noch für verhältnismäßig hält (Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Übermaßverbot im Bereich der durch Artikel 9 GG geschützten Tarifautonomie).

Das Verwaltungsgericht machte abschließend deutlich, dass die faktische Verdrängung der in NRW mit dem TV-N konkurrierenden Tarifverträge, die vom Land nicht für „repräsentativ“ erklärt wurden, im zentralen Bereich der Entgeltfindung einen sehr schweren Eingriff in die Tarifautonomie darstellt, der mittelfristig geeignet wäre, die hiervon betroffenen Arbeitgeberverbände in ihrer Existenz zu bedrohen. Denn die meisten Mitgliedsunternehmen würden auf Dauer nicht in einem Verband bleiben, dessen Regelungen zu der in Tarifverhandlungen zentralen Entgeltfrage faktisch vollständig durch die landesgesetzlich vorgeschriebene TV-N-Entgeltordnung verdrängt seien.

Aus den vorgenannten Gründen ist das Verwaltungsgericht Düsseldorf davon überzeugt, dass die NRW-Tariftreuevorschriften (Gesetz, darauf beruhende Rechtsverordnung und darauf beruhende Liste der repräsentativen Tarifverträge) für den Bereich des ÖPNV verfassungswidrig sind. Es hat deshalb das NWO-Klageverfahren ausgesetzt und dem Landesverfassungsgerichtshof NRW die NRW-Tariftreuevorschriften zur Prüfung vorgelegt (das Verwaltungsgericht selbst war nicht befugt, die Verfassungswidrigkeit des Landesgesetzes abschließend festzustellen; diese Feststellung ist bei Gesetzen dem Bundesverfassungsgericht oder dem jeweiligen Landesverfassungsgericht vorbehalten).

Wann das Landesverfassungsgericht seine Entscheidung treffen wird, ist derzeit nicht vorherzusagen. Mit einer Wartezeit von 12 Monaten muss aber sicherlich gerechnet werden.

Interessant wird sein, wie das Land und die jeweiligen Aufgabenträger ab sofort in laufenden oder künftig beginnenden ÖPNV-Vergabeverfahren hinsichtlich der Tariftreueerklärung verfahren werden. Denn noch ist das Tariftreuegesetz ja in Kraft. Andererseits droht jetzt sehr ernsthaft dessen Kassation durch das Landesverfassungsgericht mit u.U. gravierenden Konsequenzen für die Vergabeentscheidungen. Für zu Unrecht ausgeschlossene Wettbewerber kommen ja durchaus Schadensersatzansprüche in Betracht. Soweit Anbieter weiterhin geforderte Tariftreueerklärungen abgeben, sollten sie in jedem Fall einen Vorbehalt für den Fall erklären, dass die ÖPNV-Tariftreuevorschriften für verfassungswidrig erklärt werden.

Im Ergebnis hat der NWO in seinem Parallelprozess zu unserem AGVDE-Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf jetzt genau die von uns seit 2 ½ Jahren angestrebte Entscheidung und Entscheidungsbegründung erhalten. Wir sehen dies als großen Erfolg auch unserer intensiven Bemühungen in dieser Sache an, auch wenn es sich zunächst noch um einen Etappensieg auf dem Weg zu einer endgültigen Beseitigung der NRW-Tariftreuevor-schriften für den Bereich des ÖPNV handelt.

Über den weiteren Verlauf des NWO-Verfahrens sowie unseres derzeit in der Berufungsinstanz beim OVG Münster anhängigen Parallelverfahrens werden wir Sie selbstverständlich zeitnah unterrichten.

Dr. A.