Aktuelles (Seite 7)
29.11.2010
AGVDE erläutert seine ablehnende Position zum Thema „Branchentarifvertrag auf DB-Niveau“ im Bundesministerium für Wirtschaft
Am 25.11.2010 hat der AGVDE, vertreten durch seinen stellvertretenden Vorsitzenden
Dietmar Schweizer (Minden) und seinen Verbandsgeschäftsführer Dr. Ackmann, die Gelegenheit zu einem etwa einstündigen Gespräch mit Staatssekretär Dr. Heitzer (bis vor kurzem Präsident des Bundeskartellamts) im Bundeswirtschaftsministerium wahrgenommen, um nochmals eingehend die Position des AGVDE im andauernden Tarifkonflikt mit TG TRANSNET/ GDBA und GDL darzulegen (der Vorsitzende Dr. Bender war an der Teilnahme wegen eines anderen wichtigen Termins kurzfristig verhindert).Bekanntlich fordern die Eisenbahnergewerkschaften TRANSNET/GDBA und GDL, bei Unterschieden in den Details, seit Anfang 2009 mit zunehmender Lautstärke und Radikalität als einzig wirksames Heilmittel gegen angeblich drohendes „Lohndumping“, insbesondere für den Schienenpersonennahverkehr (SPNV), einen allgemeinverbindlichen „Branchentarifvertrag SPNV“ bzw. einen „Lokführer-Rahmentarifvertrag“ auf dem hohen Personalkostenniveau des sog. Marktführers DB AG, den sie spätestens Anfang 2011 bei allen Eisenbahnunternehmen durchsetzen wollen. Von der Politik erwartet zumindest die TG TRANSNET/GDBA dann noch die Allgemeinverbindlicherklärung dieses Höchstniveaus, die zur Verdrängung aller bisher geltenden Tarifverträge unserer Verbandsmitglieder führen würde.
Unser Verband lehnt diese Bestrebungen der Eisenbahnergewerkschaften entschieden ab, weil allgemeinverbindliche Tarifverträge auf dem höchsten Niveau der Branche den Wettbewerb massiv behindern und zu deutlichen Kostensteigerungen für die öffentlichen Kassen und die Bahnkunden führen würden.
Selbstverständlich arbeitet keines unserer Mitgliedsunternehmen ohne einen mit ver.di, TRANSNET/GDBA und/oder GDL abgeschlossenen Tarifvertrag; alle unsere über Jahrzehnte gewachsenen Tarifverträge haben ein Niveau, das über den Verdacht eines „Lohndumping“ vollkommen erhaben ist.
Seit der Bahnreform Mitte der 1990er Jahre haben wir mit den Gewerkschaften neben unserem Flächentarifvertrag (Eisenbahntarifvertrag-ETV; mit ver.di bis Ende 2010 abgeschlossen, Vehandlungen für 2011/2012 beginnen am 13.12.2010) eine stark ausdifferenzierte Landschaft von vielen firmenbezogenen Tarifverträgen geschaffen, die den individuellen Bedürfnissen der Unternehmen angemessen Rechnung tragen, nicht zuletzt auch bezüglich eines in den verschiedenen Regionen (mit ihren sehr unterschiedlichen Lebenshaltungskosten) wettbewerbsfähigen Vergütungsniveaus. Derartige regionale Vergütungsdifferenzierungen gibt es aus guten Gründen auch in den meisten anderen Wirtschaftszweigen.
Diese von uns in 15 Jahren gemeinsam mit den Gewerkschaften geschaffene sinnvolle und kostendämpfende Differenzierung wollen die Bahngewerkschaften (nicht hingegen ver.di) jetzt mit der Dampfwalze des „Branchentarifvertrags“ platt machen und durch ein bundeseinheitliches Höchstniveau der DB AG ersetzen. Es liegt auf der Hand, dass dies zu einer erheblichen Verteuerung des SPNV führen würde, soweit dieser heute durch kostengünstigere Wettbewerber erbracht wird bzw. künftig erbracht werden könnte. Die logische Konsequenz wäre eine Mehrbelastung der öffentlichen Haushalte bzw. eine Abbestellung von Verkehren zu Lasten der Bahnkunden.
Nach unserer Überzeugung können die Ziele der Eisenbahnergewerkschaften deshalb nicht im öffentlichen Interesse, das für eine Allgemeinverbindlicherklärung des „Branchen-tarifvertrags“ zwingende Voraussetzung wäre, liegen – ganz im Gegenteil!.
Unerfindlich ist schon, wieso ein „Einheits-Branchentarif“ auf dem höchsten Niveau (der DB AG) erforderlich sein soll, um angeblich drohendes „Lohndumping“ in der Branche wirksam zu bekämpfen; für diesen Zweck wäre nach unserer Überzeugung allenfalls ein Mindestlohn-Tarifvertrag im unteren Bereich der heute konkurrierenden Tarifverträge der Branche notwendig (etwa zur Abwehr von Billiganbietern aus dem Ausland oder tarifloser Töchter der DB AG); Verhandlungen zu einem solchen „Basis-Tarifvertrag für Eisenbahnen“ hat der AGVDE beiden Eisenbahnergewerkschaften bereits im August 2010 angeboten – bislang leider ohne Erfolg. In Wahrheit geht es den Eisenbahner-Gewerkschaften (und der DB AG als Profiteur) eben gar nicht um die Bekämpfung sozial unerwünschten „Lohndumpings“, sondern um die Beseitigung der in den letzten 15 Jahren vereinbarten SPNV-Tarifverträge von Wettbewerbern, die, je nach Region, in ihren Personalkosten vielleicht um 5 bis 15 %, in Ausnahmefällen um 20%, unter dem hohen Tarifniveau der DB AG liegen.
Nach unserer Überzeugung sind diese Unterschiede im Vergütungsniveau des Personals als Wettbewerbsfaktor auch durchaus sinnvoll, solange man nicht in die Nähe sozial unerwünschter „Dumpinglöhne“ gelangt oder diese Grenze gar unterschreitet; von „Lohndumping“ kann bei den Mitgliedsunternehmen des AGVDE überhaupt keine Rede sein, da selbst ungelernte Arbeiter einen Stundenlohn von über 10,00 € erhalten. Durchschnittliche Jahresbruttoverdienste der Fachkräfte (z.B. Lokführer) von (wenigstens) 30.000,-- € sind der Normalfall bei unseren Mitgliedern, so dass sozialpolitisch nicht der geringste Anlass besteht, unsere Tarifverträge durch einen teureren „Branchentarifvertrag SPNV“ auf dem Höchstniveau der Branche zu ersetzen. Dies gilt auch deshalb, weil die Belastungen des Personals unserer Mitgliedsunternehmen, die im SPNV meist nur auf bestimmten Strecken und Fahrzeugtypen regional tätig sind, vielfach gar nicht mit den höheren Belastungen der bundesweit, d.h. oft heimatfern, eingesetzten DB-Mitarbeiter vergleichbar sind, so dass Unterschiede in der Vergütung auch unter diesem Aspekt sachlich durchaus gerechtfertigt sind.
Besonders haben wir in dem Gespräch mit Staatssekretär Dr. Heitzer nochmals darauf hingewiesen, dass in diesem Zusammenhang die erheblichen Vorteile der DB AG beachtet werden müssen, welche diese aufgrund ihrer Größe bei vielen anderen Kostenpositionen, die im Wettbewerb eine Rolle spielen, besitzt. So genießt die DB AG z.B. bei Mengenrabatten für alle Arten von Einkäufen (u.a. von Fahrzeugen), beim Bahnstrom und bei den Kreditkonditionen am Finanzmarkt für die Beschaffung der sehr teuren Fahrzeuge massive Vorteile gegenüber allen Wettbewerbern. Wir haben deutlich gemacht, dass es vor diesem Hintergrund für unsere Mitglieder von existenzieller Bedeutung ist, ihre leichten Personalkostenvorteile nicht zu verlieren, weil sie andernfalls bei neuen Ausschreibungen nicht mehr wettbewerbsfähig wären.
Schließlich haben wir noch auf einen wesentlichen strategischen Gesichtspunkt hingewiesen: Würde es künftig einen für alle Eisenbahnunternehmen verbindlichen „Branchentarifvertrag“ geben, so könnte es in künftigen Eisenbahn-Tarifrunden leicht zu Arbeitskämpfen kommen, die zur gleichen Zeit sämtliche Eisenbahnunternehmen in ganz Deutschland beträfen, was heute wegen der stark differenzierten Tariflandschaft mit ihren unterschiedlichen Laufzeiten nicht der Fall ist. Millionen von Bahnkunden, die täglich auf den SPNV angewiesen sind, wären dann noch deutlich mehr als bisher von den Eisenbahnerstreiks betroffen. Damit würde zugleich der Druck auf die öffentlichen Hände zunehmen, höhere Personalkosten für die Erbringung der Eisenbahnverkehre zu tolerieren. Angesichts der auf viele Jahre extrem angespannten Haushaltssituation von Bund, Ländern und Kommunen kann ein solches Szenario, in dem die Macht der Eisenbahnergewerkschaften noch größer als bisher ist, wohl kaum im öffentlichen Interesse liegen.
Im Rahmen unseres Meinungsaustausches mit Staatssekretär Dr. Heitzer (BMWi) wurde deutlich, dass unsere Position in vielen Punkten von ihm geteilt wird. Insbesondere wurde mehrfach der Aspekt hervorgehoben, dass es nicht zu einer Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit der DB-Konkurrenzunternehmen durch politische Eingriffe, wie etwa eine Allgemeinverbindlicherklärung des „Branchentarifvertrags“ (sofern dieser zustande kommen sollte), kommen darf. Herr Dr. Heitzer gab insbesondere auch zu erkennen, dass aus seiner Sicht das nach dem Gesetz
(§ 5 TVG) notwendige „öffentliche Interesse“ an einer Allgemeinverbindlicherklärung angesichts der von uns geschilderten Sachlage jedenfalls bisher nicht erkennbar sei.Da nach dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP politische Lohnfestsetzungen (Mindestlöhne o.ä.) nur noch bei Zustimmung beider Koalitionspartner erfolgen dürfen, scheinen die Chancen für eine Allgemeinverbindlicherklärung des „Branchentarifvertrags“ demnach derzeit eher schlecht zu stehen.
Am Ende unseres Gesprächs mit Staatssekretär Dr. Heitzer haben wir zum derzeit aktuellen Thema „Wiederherstellung des Grundsatzes der Tarifeinheit durch Bundesgesetz“ zum Ausdruck gebracht, dass die schwerwiegenden Folgen, welche die Abkehr der Bundesarbeitsgerichts-Rechtsprechung vom jahrzehntelang geltenden Grundsatz der Tarifeinheit mit sich bringt, gerade auch in unserer Branche deutlich zu spüren sind. Die vielfältigen Probleme, die sich für unsere Mitgliedsunternehmen aus der Konkurrenz mehrerer Gewerkschaften auf dem Rücken vergleichsweise kleiner Unternehmen ergeben, haben wir kurz geschildert und deutlich gemacht, dass eine Rückkehr zum Grundsatz der Tarifeinheit durch ein entsprechendes Bundesgesetz, das allerdings die verfassungsmäßigen Rechte kleinerer Spezialgewerkschaften (wie der GDL) wahren muss, aus unserer Sicht uneingeschränkt wünschenswert wäre. Herr Dr. Heitzer wies darauf hin, dass die Bundeskanzlerin auf dem Arbeitgebertag am 23.11.2010 in ihrer Rede angekündigt habe, dass ein entsprechender Gesetzentwurf im Januar 2011 im Kabinett zur Beratung vorgelegt werde; an dessen genauen Inhalten werde derzeit noch in den zuständigen Ministerien gearbeitet.